Interview mit Martin Kessler_

1. November 2006          Interview          Hinweis

SynchroWorld.de
Herr Kessler, Sie verhelfen angesehenen Hollywood-Stars wie Vin Diesel und Nicolas Cage regelmäßig zu besten Deutschkenntnissen. Cage beispielsweise wird schon Ende Februar wieder für Sony Pictures im Kino zu bewundern, – und Sie selbstverständlich wieder als seine Synchronstimme zu hören sein.

Ist es für Sie mittlerweile Routine geworden, solch großen Stars ihre Stimme zu leihen? Wie hat sich die Herangehensweise verändert?

Martin Kessler
Nein, von Routine kann nicht die Rede sein. Es ist immer wieder spannend. Ich versuche jedes Mal neue Seiten zu entdecken. Technische Routine ist zwar immer dabei, aber ich finde es wichtig, ständig wieder neu und neugierig an die Aufgaben heranzugehen. Einfach nur „abliefern“ ist doch todlangweilig. Für den Zuschauer und für mich auch.

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Würden Sie ein Angebot dem Anderen vorziehen? Soll heißen, stellt einer der beiden Darsteller für Sie eine reizvollere Aufgabe dar?

Martin Kessler
Cage ist ein Schauspieler, der bisweilen so merkwürdige Sachen treibt, dass man im Studio vor der Leinwand steht und sich fragt, was macht dieser Mensch da? Das ist immer wieder eine Herausforderung. Vin Diesel war in den Filmen, in denen ich ihn gesprochen habe, obercool und dem hatte ich Rechnung zu tragen. Also: Fordernder und interessanter ist auf jeden Fall Nicolas Cage. Aber das kann bei Vin Diesel ja noch kommen.

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Sie meinen, wenn Vin Diesel sein Repertoire um weitere tragende Charakterrollen erweitert?

Martin Kessler
Beispielsweise. Und wenn der Verleih mir zutraut, dass auch hinzukriegen. Ich habe ja niemanden gepachtet.

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Nicolas Cage ist – wie bereits erwähnt – schon bald wieder im Kino zu sehen. In „Ghost Rider“, einer weiteren Comic-Verfilmung als dem Marvel Universum, kämpft er in Gestalt eines Dämons gegen das Böse. Zum Zeitpunkt dieses Interviews sollte die deutsche Adaption des Films bereits fertiggestellt worden sein, und Sie somit – wenn auch nur „takeweise“ Einblick in den Film bekommen haben.

Dürfen sich unsere Leser wieder mal auf Cage und Kessler in Bestform freuen?

Martin Kessler
Bei Cage gehe ich mal davon aus. Aber niemand wird mich dazu bringen, von mir selbst zu behaupten: Mensch, was war ich da gut. Das sollen mal schön die anderen beurteilen.

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Verraten Sie unseren Lesern doch ein paar weitere Details zur deutschen Fassung. In welchem Zeitraum wurden beispielsweise ihre Takes eingesprochen, wo wurde aufgenommen…?

Martin Kessler
Aufgenommen wurde bei der BSAG („Berliner Synchron AG“, Anmerkung d. Red.) unter der Regie von Joachim Tennstedt. Ich hatte vier oder fünf Tage zu tun.

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In den letzten Jahren sind viele Hollywood-Studios dazu übergegangen, erfolgreiche Comic-Franchise für die große Kinoleinwand zu adaptieren. Auch dieses Jahr erwarten uns einige Umsetzungen und Fortsetzungen, wie beispielsweise „Spiderman 3“, „Sin City 2“, „Fantastic Four 2“, „300“ oder eben „Ghost Rider“.
Die allgemeine Meinung zu diesen Produktionen ist gespalten. Die Einen freuen sich auf die Verfilmung ihres Lieblings-Comics, die anderen sehen diese Umsetzungen als „Verschandelung“ der Vorlage an.

Wie stehen Sie zu diesem Thema?

Martin Kessler
Ich bin überhaupt kein Fan von Comics. Deswegen kann ich nix dazu sagen. Ich kenne die Vorlagen – bis auf Superman oder Batman aus „Jugendtagen“ – gar nicht.

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Einer großen Vorbereitung auf die jeweilige Rolle bedarf es als Synchronsprecher also nicht? Im Schauspiel ist es ja bekanntlich gang und gäbe, sich auf die zu verkörpernde Rolle einzustimmen, – bei „Ghost Rider“ beispielsweise durch Lektüre der Vorlage…

Martin Kessler
Im Theater habe ich eine Probenphase von mehreren Wochen, um die Rolle zu entwickeln und mit dem Regisseur zu erarbeiten. Im Synchron ist das selbstverständlich nicht möglich. Ich glaube nicht, dass mir die Lektüre des Comics geholfen hätte, die Rolle besser zu verstehen. Aber es ist durchaus hilfreich, den Film vorher zu sehen, oder, wenn das nicht möglich sein sollte, zumindest im Atelier die Szenen komplett anzusehen, bevor man sich die einzelnen Takes vornimmt.

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Herr Kessler, natürlich beschränken Sie sich nicht nur alleine auf die Synchronisierung von Nicolas Cage und Vin Diesel, sondern sind immer wieder auch in kleineren Film- oder Serienrollen zu hören…

Eine willkommene Abwechslung oder ein notwendiges Übel?

Martin Kessler
Immer wieder eine Abwechslung. Da ich selbst überwiegend als Dialogregisseur arbeite, weiß ich, wie wichtig oft die kleinen Rollen sind und wie schwer die oftmals zu besetzen sind.

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Würden Sie uns eine Lieblingssynchronarbeit von Ihnen nennen?

Martin Kessler
Sportlichste Herausforderung war Cage in „Spiel auf Zeit“. Da hat er ein Tempo vorgelegt, das es in sich hatte. Nicht zu vergessen: Dr. Romano in „Emergency Room“, der war immer so ein herrlicher Giftzwerg.
Und als Autor und Regisseur war „Deadwood“ äußerst interessant. Auch wenn sich die Sprache des Originals nicht adäquat übertragen lässt, ist es uns – allen beteiligten Schauspieler, Cuttern und Technikern -glaube ich, ganz gut gelungen.

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Die deutsche Synchronbranche ist die führende der Welt. Nirgendwo sonst wird solch eine enorme Anzahl ausländischer Produktionen, seien es Hollywood-Blockbuster, Serien oder auch Zeichentrick, für den heimischen Markt umgesetzt. Die Schattenseiten sollen jedoch auch nicht verschwiegen werden: So werden hiesige Sprecher beispielsweise mit weitestgehender Anonymität bestraft, und auch die Vergütung soll sich – drücken wir es so aus – in vielen Fällen nicht auf dem Level der vom Sprecher gebotenen Leistung bewegen.

Wie denken Sie darüber?

Martin Kessler
Das würde eine Antwort erfordern, die den Rahmen sprengen würde. Es liegt auf der Hand, dass die Bedeutung, die die deutsche Synchronfassung für den kommerziellen Erfolg hat, sich keineswegs in unserer Bezahlung und öffentlichen Beachtung widerspiegelt. Die Gagen haben sich seit den 60er Jahren kaum verändert und die Verwertungsmöglichkeiten eines Filmes haben sich in unglaublichem Maße vervielfacht. Von Inflations- und allgemeiner Teuerungsrate ganz zu schweigen. Ähnlich den Übersetzern werden wir schamhaft verschwiegen und erst ganz langsam tut sich da was.

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Wie sollte sich die Branche ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren weiterentwickeln?

Martin Kessler
Ich kann nur hoffen, dass sich, allen „Controllern“, die bei den Sendern immer wichtiger zu werden scheinen, zum Trotz, darauf besonnen wird, Qualität nicht geringschätzig abzutun. Zur Zeit hat man den Eindruck, dass einige Auftraggeber beste Qualität bei immer schlechterer Bezahlung haben wollen. Dass das vergebliche Hoffnung ist, hat doch z.B. schon Opel mit dem spanischen Manager Lopez vor einigen Jahren bewiesen. So etwas geht nur eine sehr begrenzte Zeit „gut“. Und anderen ist Qualität völlig wurscht. Hauptsache es ist irgendwie deutsch und war billig. Geiz ist meiner Ansicht nach nicht geil! Billig ist eben billig und nicht preiswert.

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Viele unserer Leser kennen Sie außerdem aus dem Videospiel „Splinter Cell“, das mit „Double Agent“ vor ein paar Wochen in die vierte Runde gegangen ist. Sie leihen – wie könnte es auch anders sein – dem Agenten „Sam Fisher“ ihre Stimme.

Schildern Sie unseren Lesern doch bitte, wie die Adaptierung eines Videospiels aus Ihrer Sicht vonstatten geht. In welchen Punkten unterscheidet sie sich von der Synchronisierung eines Spielfilms oder einer Serie?

Martin Kessler
Das ist eine völlig andere Arbeit. Ich habe bis heute keine Ahnung von dem Spiel, weiß nicht, was da passiert. Das liegt natürlich zum einen daran, dass ich kein Spieler bin. (lacht) Und zum anderen hat es den einfachen Grund, dass das Spiel zum Zeitpunkt der Bearbeitung noch gar nicht fertig war. Ich konnte mich bei „Splinter Cell“ nur an die Länge des Satzes im Original halten und hoffen, dass die Regie und ich die Intention richtig verstanden haben, da der visuelle Eindruck vollständig gefehlt hat.

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Würden Sie die Lokalisierung eines Videospiels als anspruchsvoller bezeichnen, als die Bearbeitung eines Realfilms?

Martin Kessler
Das heiße Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Die Herangehensweise ist eine andere.

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Könnte man die Methode der Aufnahme vielleicht mit der eines Hörspiels vergleichen?

Martin Kessler
Eher nicht. Beim Hörspiel bin ich wesentlich freier in der Gestaltung, kann meinen eigenen Rhythmus finden. Bei Spielen ist man, soweit ich das kenne, Sklave der Länge des Originalsatzes oder der Vorgabe des Entwicklers. Bei Hörspielen kann ich viel mehr mit der Imagination arbeiten. Das mehr mit dem Beruf des Schauspielers im eigentlichen Sinn zu tun.

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Das „Hörsegment“ mit seinen Hörspielen und vor allem mit seinen Hörbüchern befindet sich in Deutschland derzeit wieder auf dem Vormarsch. Zu einigen Filmen wie beispielsweise der Sony Pictures-Produktion „The DaVinci-Code“ erscheint zusätzlich ein Hörbuch, oder eine Hörspielreihe.

Eine Entwicklung, die Ihnen als Sprecher mehr als zusagt?

Martin Kessler
Bisher hatte ich noch nicht das Vergnügen, ein Hörbuch zu lesen. Aber das kann ja noch kommen. Ich gehe davon aus, dass das eine reizvolle Arbeit sein dürfte.

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Wie hoch ist der Anteil, den die Hörspiele, beziehungsweise Hörbücher derzeit in Ihrer alltäglichen Arbeit einnehmen?

Martin Kessler
Hörspiele ab und zu, Hörbücher – wie erwähnt – keins.

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In der Regel sind Sprecher nicht nur in einem Projekt involviert, sondern arbeiten parallel an mehreren „Baustellen“, was sicherlich auch auf die bereits erwähnten Umstände zurückführen lässt, in der sich die deutsche Synchronbranche derzeit befindet.

Wie hat man sich einen typischen Arbeitstag von Martin Kessler vorzustellen?

Martin Kessler
Unterschiedlich: Mal texte ich. Dann sitze ich lange am Schreibtisch und verpasse den Schauspielern hoffentlich immer synchrone und sinnvolle Texte.
Mal führe ich Dialogregie. Dann bin für acht oder mehr Stunden im Atelier und arbeite als Regisseur, der den natürlichen Fluss des Schauspielers durch völlig unnötige und schikanöse Korrekturen hemmt. Nein, im Ernst: ich versuche, so gut es möglich ist, dem Original zu entsprechen. Oft ist das nicht so ganz einfach, denn man muss eine deutsche Entsprechung finden.
Mal arbeite ich als Sprecher, der sich anderen Regisseuren aussetzt und seinen natürlichen Fluss hemmen lässt. Und das ist wie ein kleiner Urlaub. Da muss sich dann jemand anderer dern Kopf zerbrechen und trägt die ungeheure Last der Verantwortung.

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Würden Sie uns ein paar Produktionen – außer der vorhin bereits erwähnten Serie „Deadwood“ – nennen, bei denen Sie Buch und/oder Regie inne hatten?

Martin Kessler
Die letzten zwei oder sogar drei Jahre habe ich mit Text und Regie von „The Shield“ und „Deadwood“ verbracht. Leider wird nix davon auf öffentlichen Kanälen gesendet. Zu hart, wie es heißt. Ich finde beide Serien ganz grosse Klasse. Tolle Drehbücher und hervorragend produziert. Und ab und zu einen Film. Der letzte war die HBO Produktion „Tsunami“.

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Nochmal zurück zu ihrer Tätigkeit als Autor und Regisseur:
Würden Sie sich im Zweifelsfall eher für die „Ungeheure Last der Verantwortung“ als Autor und Regisseur, oder doch für den „Urlaub“ am Mikrofon entscheiden?

Martin Kessler
Die Frage ist niederträchtig. Kann ich so nicht sagen. Beides hat eine gewisse Verlockung. Ich glaube aber, dass ich ganz gut mit Leuten arbeiten kann.

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Der obligatorische Fragenblock zum Schluss:
Wenn keiner der Hollywood-Stars eine deutsche Feststimme hätte, für wen sollte man Sie besetzen?

Martin Kessler
Die Antwort auf die Frage überlasse ich mal schön anderen.

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Mit welchen Kollegen oder Studios arbeiten Sie besonders gerne zusammen?

Martin Kessler
Das kann ich so gar nicht beantworten. Es gibt natürlich Menschen, mit denen man nicht gerne zusammen arbeitet, aber der weitaus größte Teil der Kollegen gehört nicht dazu. Da macht es meistens großen Spaß.

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Ein Blick in die Zukunft:
In welchen Rollen werden wir Martin Kessler in den nächsten Wochen und Monaten erleben dürfen?

Martin Kessler
Da die Produktionen immer kurzfristiger reinkommen, weiß ich noch gar nicht, was mich erwartet.

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Ein paar Worte an Ihre Fans…

Martin Kessler
Bleibt den Synchronleuten gewogen. Und sorgt durch konstruktive und laute Kritik dafür, dass sich das Synchron nicht durch ein unterirdisches Niveau selbst abschafft.

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Vielen herzlichen Dank für dieses Interview, Herr Kessler.
Wir bedanken uns, dass wir Sie unserer Leserschaft etwas näher vorstellen durften, und wünschen Ihnen auch weiterhin frohes Schaffen und viel Erfolg!

Das Interview mit Martin Kessler führte ich im Jahr 2007. Veröffentlicht wurde es auf SynchroWorld.de, einem mittlerweile eingestellten Onlinemagazin für Synchronschaffende.

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