Mit der Formel 1 und mir ist das schon so eine Sache: Einst war ich die-hard Fan und habe die Königsklasse des Motorsports, wie die Rennserie nach wie vor gerne betitelt wird, so intensiv verfolgt wie keinen anderen Sport. Mir die Nächte um die Ohren geschlagen habe ich, um Trainings, Qualifikation und Rennen zu unchristlichen Zeiten auf RTL und später dann bei Premiere/Sky live verfolgen zu können. Doch diese Zeiten sind vorbei. Dem erneuten Rücktritt von Michael Schumacher geschuldet, insbesondere jedoch den in den letzten Jahren eher spannungsarmen Duellen um die WM-Krone geschuldet.
Mein letztes Formel-1-Videospiel habe ich mir 2012 für meine good ol‘ Xbox 360 gekauft und ich war nicht sonderlich begeistert (siehe meine Review). Seitdem hat sich kein weiteres F1-Spiel in meine Videospiel-Sammlung verirrt, – bis Ende August. Da erschien bekanntlich mit „F1 2017“ das aktuelle offizielle Videospiel zur Formel-1-Saison 2017 aus dem Hause Codemasters, das schon vorab von Gelegenheitsspielern wie ausgewiesenen Sim-Racern, wie beispielsweise den Jungs von ISRTV und Team VVV, mit Vorschusslorbeeren geradezu überhäuft wurde. Ich wurde neugierig, schaute mir auf YouTube das ein oder andere längere Testvideo an und kam letzten Endes zu dem Schluss, dass ich einfach mal über meinen Schatten springen und dem Franchise eine neue Chance geben sollte.
Wie sich „F1 2017“ geschlagen hat, ob das vorab eingeheimste Lob gerechtfertigt war oder lediglich dem gezückten Scheckbuch der Codemasters Marketingabteilung geschuldet war, klärt meine ausführliche Review zur PS4-Fassung (v1.5) des Spiels.
F1 2017
2017, Rennspiel, PlayStation 4
Codemasters Racing / Codemasters
www.Formula1-Game.com
Spieletrailer
Beschreibung
„‚F1 2017‘ ist das offizielle Videospiel der 2017 FIA Formula One World Championship und beinhaltet den vollständigen Rennkalender der Saison 2017 mit allen offiziellen Strecken, Fahrern und Teams. Gewinnen Sie die Weltmeisterschaft 2017, brechen alle Rekorde in den schnellsten F1 Rennwagen, und fahren in den größten F1-Ikonen der letzten 30 Jahre. Eine Karriere mit noch mehr Spieltiefe, mehr Gameplay-Abwechslung im neuen Meisterschafts-Modus, und jede Menge weiterer Features sowohl online als auch offline, machen ‚F1 2017‘ zum umfangreichsten und packendsten offiziellen F1-Videospiel aller Zeiten.“ – Quelle
Review
„F1 2017“ ist das offizielle Videospiel zur Formel-1-Weltmeisterchaft 2017 und als ebensolches bietet es als einziges Spiel sämtliche lizensierten Fahrer, Teams und Strecken der laufenden Saison. Von Lewis Hamilton über Sebastian Vettel bis hin zu Fernando Alonso, von Mercedes-AMG Petronas, über Ferrari bis hin zu McLaren-Honda, vom Albert Park, über Silverstone, bis hin zu Suzuka – „F1 2017“ bietet als einziges derzeit erhältliches Rennspiel ein Rundum-Sorglos-Paket für alle F1-Fans, um den laufenden Wettbewerb vom ersten Freien Training bis zur letzten Karierten Flagge an der heimischen Konsole erleben zu können. Zusätzlich stehen erstmals auch Strecken zur Verfügung, die nicht im Rahmen der F1-Saison gefahren werden. Dabei handelt es sich um kurze Streckenvarianten von Bahrain (Bahrain International Circuit), Großbritannien (Silverstone GP), Japan (Suzuka GP Circuit) und den USA (Circuit of the Americas). Warum man, wenn man schon einmal dabei war, nicht gleich auch noch den für dieses Jahr leider aussortierten Hockenheimring oder alternativ den Nürburgring mit ins Spiel gepackt hat, – unklar. Außerdem sind 12 offiziell lizensierte Classic-F1-Boliden im Spiel enthalten, darunter der ikonische 1992 Williams FW14B von Nigel Mansell, der Ferrari F2004 aka die „Rote Göttin“, mit dem Rekordweltmeister Michael Schumacher 2004 seinen letzten Formel-1-Fahrertitel gewinnen konnte, der 2010 Red Bull Racing RB6 von Sebastian Vettel, sowie der legendäre McLaren MP4/4 von Ayrton Senna aus der Saison 1988. Letztgenannter steht exklusiv allen Vorbestellern, bzw. Besitzern der „F1 2017 – Special Edition“ zur Verfügung, – und schätzungsweise ein paar Monate nach Release wohl auch als DLC im PlayStation Store zum Download bereit. Alles in allem eine großartige Auswahl klassischer F1-Boliden, die Fans mit der Zunge schnalzen lassen dürfte!
Wie jedes Rennspiel, das etwas auf sich hält, hält auch „F1 2017“ zahlreiche Spielmodi bereit, bei denen für jeden Spieler, genaz egal ob Sim-Racer oder Casual-Player, etwas dabei sein sollte. Neben „Meisterschaft“ (Saison mit aktuellen oder klassischen Boliden), „Grand Prix“ (einzelner Grand Prix), „Zeitfahren“ (im Trockenen sowie bei Regen; jeweils mit eigenem Online-Leaderboard), Event (GP-Events parallel zum echten F1-Kalender) und dem Online-Multiplayer-Modus (lokaler Multiplayer via Splitscreen ist nicht möglich), bietet der Titel zudem auch einen umfangreichen Karriere-Modus ,in den die Jungs und Mädels von Codemasters merklich viel Herzblut haben einfließen lassen. In dessen Rahmen arbeitet man sich mit seinem selbst erstellten F1-Rookie von ganz hinten bis an die Spitze des Fahrerfelds empor, natürlich immer das ultimative Ziel fest im Blick, sich am Ende der Saison zum Formel-1-Weltmeister zu krönen und überdies für sein Team die nicht minder prestigeträchtige F1-Konstrukteurs-Meisterschaft zu sichern. Da der Karriere-Modus unabstreitbar das Herzstück von „F1 2017“ darstellt – und er mir neben dem Zeitfahren am meisten Spaß macht -, wird er auch im Fokus dieser Review stehen.
Das Menüdesign von „F1 2017“ ist von seiner grundlegenden Optik her an die TV-Übertragungen der Formel-1-Saison 2017 angelehnt. Gleiches gilt auch für die während der Renn-Action zu sehenden Einblendungen im TV-Stil, die sich ebenfalls an den echten TV-Inserts orientierten, allerdings – aus welchem grund auch immer – nicht 1-zu-1 ins Spiel übertragen wurden. Glücklicherweise halten sich die Ladezeiten innerhalb der Menüstruktur sowie beim Laden eines neuen Grand Prix oder Zeitfahr-Events in Grenzen. Alles andere wäre der offiziellen Videospielumsetzung einer der schnellsten Motorsportarten der Welt aber auch nicht vertretbar gewesen. 😉
Kommen wir nun zu bereits erwähntem „Karriere-Modus“ von „F1 2017“, der die mit Abstand höchste Dichte an spielerischen Neuerungen bereit hält. Gleich zu Beginn wird der Spieler vor eine immens schwere Wahl gestellt, nämlich: Welchem Team man sich den anschließen möchte. Die Auswahl des Teams beeinflusst den anfänglichen Schwierigkeitsgrad der Karriere, zumindest den der ersten Saison, ganz entscheidend. Wer sich beispielsweise für einen Fahrervertrag bei McLaren Honda entscheidet, muss, um gute Resultate einzufahren, immens viel mehr leisten als all jene, die sich für einen Karrierestart im bereits warmen Nest bei Mercedes-AMG Petronas, Ferrari oder Red Bull Racing entscheiden. Anschließend geht’s nach einer in Spielegrafik gehaltenen, nett inszenierten Zwischensequenz direkt rüber in den Albert Park nach Melbourne, Australien, wo der erste Grand Prix der F1-Saison stattfindet. Und hier warten bereits die ersten handfesten Neuerungen: Wurden die drei Freien Trainings bis dato von nicht wenigen Spielern als notwendiges Übel angesehen, dass gerne auch mal komplett übersprungen wurde, macht es nun endlich Sinn, auch in den Trainings-Sessions seine Runden über den Asphalt zu drehen.
Vom Team bekommt man insgesamt fünf Aufgaben gestellt, die es im Verlauf der drei Freien Trainings zu erfüllen gilt. Beispielsweise so und so viele konstante Rundenzeiten abliefern, besonders reifenschonend fahren oder während einer Runde einen vorher festgelegten Benzinverbrauch nicht zu überschreiten. Je mehr man sich reinhängt, desto genauer fällt am Ende die vom Team im Hintergrund ausgetüftelte Rennstrategie aus. Zusätzlich gibt’s Aufgaben für die Qualifikation, mit denen man die Performance des Boliden für eben diese steigern kann. Die brandneuen Teamaufgaben ist durchaus motivierend und macht die Trainings für Spieler deutlich relevanter. Allerdings geraten die auf Dauer immer gleichen Aufgaben spätestens zur Saisonmitte zur leidigen Fleißaufgabe, aber von dieser bleiben auch die echten F1-Stars bekanntlich nicht verschont. Gesagt sei: Man muss diese Teamaufgaben nicht absolvieren, man muss sich im Rahmen eines Rennwochenendes nicht mal mit ihnen befassen, wenn man dies nicht möchte. Allerdings verlieren Faulpelze mit der Zeit an Reputation bei ihrem Arbeitgeber, was sich wiederum negativ auf die Teamperformance auswirken kann.
Für erfolgreich absolvierte Teamaufgaben wird man indes mit Forschungs-Punkten belohnt, die wiederum in vier Bereichen investiert werden können, um den eigenen Boliden peu á peu zu verbessern. So kann zum Beispiel die Aerodynamik des Wagen verbessert, bzw. weiterentwickelt werden sowie die Haltbarkeit von Motor, Getriebe etc erhöht werden, was sich maßgeblich auf den Verlauf einer Saison auswirken kann. Auf diese Weise können sich Hinterbänkler-Teams wie Sauber und McLaren stetig verbessern, bis sie irgendwann was reißen und für regelmäßige Podium-Finishes gut sind. Allerdings braucht es dabei schon einige Geduld. Erforschte Upgrades werden in der Regel in Spielegrafik direkt am Boliden dargestellt, – selbstverständlich nur dann, wenn sie nicht „unter der Haube“ angewendet wurden. Auf diese Weise bekommt man auch visuell mit, wenn sich bei der Konkurrenz was tut.
Nicht gänzlich neu, dafür aber spielerisch weiterentwickelt wurden von Codemasters die teaminternen Duelle gegen den Teamkollegen auf der anderen Seite der Boxen-Garage: Landet man regelmäßig in den Trainings sowie im Qualifying vor diesem und schließt die Rennen zudem auf einer besseren Endplatzierung ab, so steigt man in der Gunst des Teamchefs und wird fortan als No.1-Fahrer eingestuft. Der No.1-Fahrer eines Teams wird beispielsweise bei der Boxenstrategie bevorzugt und erhält erforschte Entwicklung-Upgrades vor seinem Teamkollegen. Ein gelungenes, da, wie ich finde, motivierendes System, das immer wieder dazu animiert, neue Höchstleistungen abzurufen und das Beste aus dem Boliden heraus zu kitzeln.
In „F1 2017“ ist es wie in jedem Rennspiel, das nicht gerade auf der arcady Side of Things angesiedelt ist, möglich, seinen Wagen auf die jeweilige Strecke abzustimmen. Die vorhandenen Einstellungsmöglichkeiten sind dabei nicht so umfangreich und detailliert wie in einer waschechten Simulation wie z.B. „Assetto Corsa“, wo schraubengenauer Realismus geboten wird. Nichtsdestotrotz sind sie vorhanden, allerdings eher einsteigerfreundlich angelegt. Sämtliche Abstimmungsmöglichkeiten werden zudem auch für absolute Laien verständlich in Textform erklärt, so dass auch F1-Neulinge recht schnell erste Erfolge erzielen können, die auf eine gelungene Abstimmung zurückzuführen sind, was wiederum motiviert.
Die Grand Prix in „F1 2017“ laufen, so man sie in den Einstellungen nicht anders konfiguriert hat, nach dem vollständigen Reglement der Formel-1-Weltmeisterschaft 2017 ab. Geboten werden neuerdings sogar eine Einführungsrunde, in deren Verlauf man seine Reifen und Bremsen auf Betriebstemperatur bringen, das Getriebe durchchecken muss und gleichzeitig den Motor nicht überhitzen lassen sollte. Hier kann ein weiterer Grundstein für einen späteren Erfolg gelegt werden! Starts laufen komplett manuell ab, sprich: Gang einlegen, die optimale Drehzahl erreichen und halten, und anschließend die Kupplung im richtigen Moment, nämlich wenn die Startampel auf Grün umspringt, loslassen, Durchdrehen der Räder vermeiden und los geht’s Richtung der ersten Kurve. Die Künstliche Intelligenz (KI) in „F1 2017“ bietet anspruchsvolles, intensives, authentisches Racing, das einfach Spaß macht und auf dem höchsten einstellbaren Schwierigkeitsgrad („Ultimate – 110%“) selbst Veteranen vor eine echte Herausforderung stellen sürfte. Die KI-Kontrahenten verhalten sich in etwa so wie ihre Alter Egos in der Realität. So geht ein Lewis Hamilton ein Rennen mit anderen Ehrgeiz und Einsatz an wie etwa ein Fernando Alonso, Stoffel Vandoorne oder Sebastian Vettel. Das Gros der KI-Fahrer bevorzugt sauberes Racing, während manch einer gerne auch mal die Brechstange rausholt, um in die Punkte oder gar aufs Podium zu kommen.
Während des Rennens wird man von seinem Renningenieur Jeff regelmäßig per Funk auf den aktuellsten Stand der Dinge gebracht. So gibt es Durchsagen zu den Konkurrenten und deren Performance, wann der nächste Boxenstopp ansteht und wie die Wettervorhersage für die nächste Viertelstunde ausschaut. Sogar mögliche Strategieänderungen werden einem auf diesem Weg angeboten, die man daraufhin per Tastendruck bestätigen oder ablehnen kann. Wem die ständigen Funk-Updates irgendwann auf die Nerven gehen, kann es machen wie Kimi Raikkönen vor ein paar Jahren und das Plappermaul am anderen Ende des Funks bis auf Weiteres zum Schweigen bringen. Zudem ist es möglich, sich über ein kompakt angelegtes Popup-Menü über den allgemeinen Zustand des Boliden und seine vom Team verfolgte Rennstrategie zu informieren. Weiters können ebendort im Handumdrehen Einstellungen und Feinjustierungen für den nächsten Boxenstopp vorgegeben werden, beispielsweise eine neue Einstellung für den Frontflügel oder die nächste Reifenmischung, welche von der Pitcrew dann umgesetzt werden. Boxenstopps können in „F1 2017“ endlich auch manuell in Angriff genommen werden: In die Boxeneinfahrt heizen, im richtigen (dem spätestmöglichen) Moment vor der Linie den Limiter auslösen, die richtige Box ansteuern und nach ein paar wenigen Sekunden bereits schon wieder von dannen, zurück auf die Strecke schießen – alles kein Problem mehr! Die Boxencrew ist vollständig animiert; selbst der Wechsel des Frontflügels samt anschließender Nachjustierung des Abtriebs wurde liebevoll per Motion-Capturing im Spiel umgesetzt.
Nach wie vor nicht ganz nachvollziehbar wird indes das Schneiden, bzw. Abkürzen der Strecke geahndet. Nach dem derzeitigen Formel-1-Regelwerk gilt als unerlaubtes Schneiden/Abkürzen der Strecken, wenn alle vier Räder die weiße Streckenbegrenzungslinie überschritten haben. Dies wird auch im Spiel entsprechend mit einer Verwarnung und in extremen Fällen sofort mit einer Strafe geahndet. Allerdings gibt es Ausnahmen von dieser Regel, die im Spiel eben nicht, oder lediglich unzuverlässig umgesetzt wurden: Als unerlaubtes Schneiden/Abkürzen gilt nicht, wenn alle vier Räder zwar die Streckenbegrenzung überschritten haben, sich allerdings dort dann noch auf einem breiten Curbe befinden, da dieser als Teil der Strecke angesehen wird. Dies ist beispielsweise in der ersten Haarnadelkurve in Spa Francorchamps, Belgien oder auch in der ersten Kurve auf dem Red Bull Ring in Spielberg, Österreich der Fall. Auf beiden Strecken handelt man sich allerdings direkt Strafen wegen extremem Schneiden der Strecke ein, wenn der Curbe etwas weiter befahren wird. Das ist ärgerlich und sollte schnellstens nachgepatcht werden!
In „F1 2017“ wurde zudem ein funktionierendes Streckenmarschall-System implementiert: Geschieht ein Unfall, so wird der betroffene Streckenabschnitt binnen weniger Sekunden unter Gelb gesetzt, was für die Piloten ein absolutes Überholverbot sowie eine merkliche Reduzierung der Geschwindigkeit nach sich zieht. Diese Gelb-Warnung wird im nächsten angrenzenden Sektor, der unfallfrei ist, wieder durch Grün aufgehoben. Im Spiel wird dies sowohl per Funk, auf der auf Wunsch ein- und ausblendbaren Strecken-Minimap, sowie durch die Streckenposten signalisiert, die entsprechende Fahnen schenken. Dies wurde meines Wissens bis dato noch in keinem anderen Rennspiel, ganz egal ob Arcade oder Simulation, so detailliert umgesetzt! Die Krönung des Ganzen wäre gewesen, wenn während einer SafetyCar-Phase besagte Streckenposten auch noch über die Strecke laufen und/oder am Streckenrand entlang sprinten würden, um verunfallte und liegengebliebene Boliden zu bergen. Vielleicht schafft’s das Feature ja in den Nachfolger „F1 2018“?
Die Rennen in „F1 2017“ bieten ein dynamisches Wetter-System, das die auf der jeweiligen Strecke vorherrschenden Witterungsbedingungen auch mal innerhalb von nur wenigen Runden von leichter Bewölkung zu Nieselregen und schließlich zu einem ordentlichen Niederschlag simulieren kann. Nasse Strecke trocknet am Anschluss an den Regenguss mit der Zeit wieder ab, wobei die viel befahrene Ideallinie deutlich zügiger wieder schneller, griffiger ist als der Rest, was wiederum schnellere Rundenzeiten zulässt. Das System berechnet dabei nicht die komplette Strecke als ein Ganzes, sondern unterteilt diese in mehrere einzelne Abschnitte, deren jeweilige Witterungsverhältnisse getrennt voneinander simuliert und verwaltet werden. So kann es bei einer langen Strecke wie beispielsweise der „Ardennen-Achterbahn“ Spa Francorchamps durchaus passieren, dass der Bereich um die Start-und-Ziel-Gerade noch vollkommen trocken ist und einen entsprechend hohen Grip-Level sein Eigen nennt, während es im hinteren Teil der Strecke bereits wie aus den sprichwörtlichen Kübeln schüttet und man mit aufgezogenen Slicks nicht mehr sonderlich schnell unterwegs ist. Cool: „F1 2017“ simuliert das Grip-Niveau der Strecke nicht nur während des Rennens, sondern über das gesamte Rennwochenende hinweg. Ein Feature, das man bis dato vor allem von Hardcore-Sims wie „Assetto Corsa“ her kennt. Während die Strecke am in den ersten beiden Freien Trainings-Sessions am Freitag noch relativ grün ist und wenig Haftung bietet, sieht die Sache spätestens zum Qualifying und dem tags drauf folgenden Grand Prix schon ganz anders aus – zumindest wenn zwischenzeitlich kein Regenschauer aufzieht.
Die Action auf der Strecke kann aus insgesamt sechs grundverschiedene Kameraperspektiven verfolgt werden. Neben der klassischen Cockpit-Perspektive sowie zwei an die TV-Übertragungen erinnernden Kameras auf, respektive neben der Airbox, haben es noch eine Frontflügel-Perspektive sowie zwei Verfolger-Ansichten, wie sie in Arcade-Rennspielen zu finden sind und die eher den Geschmack von Casual-Spielern treffen dürften. Insbesondere die Cockpit-Kamera sowie die beiden TV-Cams bieten gute Übersicht bei gleichzeitig superben Geschwindigkeitsgefühl. Lobenswert, da in Non-Hardcore-Sims alles andere als selbstverständlich: In den Einstellungen kann u.a. die Cockpit-Perspektive feinjustiert werden, beispielsweise indem das Blickfeld an die eigenen Vorlieben angepasst und die Position des Fahrersitzes festgelegt wird. Das System lässt den Spieler sogar kleinste Details wie z.B. den Winkel der beiden seitlichen Spiegel einstellen!
Nach der Zieldurchfahrt samt enthusiastisch geschenkter Karierter Flagge gibt’s wie aus dem echten F1 Grand Prix-Zirkus gewohnt eine überschwängliche Siegerehrung mit allem was dazu gehört: standesgemäße Champagner-Dusche, aufgesetzter Jubel etcpp. Sämtliche Fahrer der Saison 2017 wurden von Codemasters eingescannt und mit einigem Herzblut nachmodelliert, was sich während der Siegerehrungen am Detailgrad der auf dem Podium vertretenden Piloten bemerkbar macht. Die Detailversessenheit geht so weit, dass sogar herausragende Team-Persönlichkeiten wie Toto Wolff (Motorsport-Direktor, Mercedes-AMG Petronas) und Maurizio Arrivabene (Teamchef, Scuderia Ferrari) ins Spiel integriert wurden. Zwar ist der Detailgrad nicht ganz so hoch wie bei den wirklich superb gelungenen Fahrern-Modellen, allerdings dürften echte Fans auch ohne eingeblendeten Namen erkennen, wen sie da vor sich haben.
Der mit Abstand wichtigste Punkt, von dem nicht wenige Rennspiel-Fans abhängig machen dürften, ob sie sich das diesjährige „F1 2017“ zulegen werden oder nicht, ist wohl die Fahrphysik. Der Titel ist, so würde ich es als jemand, der noch nie in einem F1-Boliden unterwegs war, zumindest beurteilen, mehr Simulation als Arcade. Allerdings ist „F1 2017“ weit von waschechten Genre-Schwergewichten wie „Assetto Corsa“, „iRaching“ oder auch „Project CARS 2“ entfernt. Sämtliche Boliden nennen ein leicht unterschiedliches Handling, sowie Leistungswerte (Fahrverhalten, Motorpower, etc), die sich an der Realität, bzw. dem bisherigen Saisonverlauf orientieren, ihr Eigen. Die Renner verfügen dank der abermaligen Neuüberarbeitung des F1-Reglements auch im Spiel über extremen Abtrieb, was enorm hohe Kurvengeschwindigkeiten ermöglicht, welche die eh schon hohen Werte aus den Vorjahren nochmals toppen. Je nach Fahrstil, neigen die Boliden am Ausgang langsamerer Kurven grundsätzlich gerne zum Übersteuern, was sich durch beherztes Gegenlenken und mit einem behutsam agierenden Gasfuß kompensieren lässt. Überhaupt fühlen sie sich nicht mehr so „steif“ an, sondern nennen mehr Charakter ihr Eigen. In Codemasters „F1 2017“ wird erstmals eine realistische Gewichtsverteilung bei Beschleunigung, Brems- und Lenkbewegungen simuliert. Das kann u.a. dazu führen, dass beim Einlenken das kurveninnere Vorderrad wegen der verringerten Belastung (oder einer falschen Abstimmung) stehen bleibt und sich dadurch Bremsplatten ins Gummi schleifen. Hier ist viel Gefühl gefragt, um sich seinen Satz Reifen nicht vorzeitig zu ruinieren. Darüber hinaus wird das sogenannte Drafting, der Saugeffekt im Windschatten des Vordermanns, nun deutlich gelungener simuliert und Grip-Level der Strecke sowie Reifenverschleiß wirken sich imho um einiges nachvollziehbarer auf das Fahrverhalten aus, was das Planen der Boxenstopp-Taktik einfacher macht.
Auch beim Thema Schadensmodell haben sich die Codies in diesem Jahr nicht lumpen lassen: „F1 2017“ bietet das realistischste wie detaillierteste Schadensmodell, das es je in ein offizielles Formel-1-Videospiel geschafft hat. Sämtliche Komponenten des Boliden, angefangen vom kleinen Wing-Flap am Frontflügel, über die Kühler in den Seitenkästen, bis hin zum Motorblock und Getriebe wird von „unbeschädigt“ bis hin zum „Totalschaden“ simuliert und verwaltet. Eingehandelte Beschädigungen spürbar auf das Fahrverhalten aus und werden zudem in mehreren Beschädigungsgraden visuell direkt am Boliden dargestellt. Wer Reifen und Bremsen über einen längeren Zeitraum deutlich über ihre Leistungsfähigkeit extremer Beanspruchung aussetzt, muss zudem mit Reifenplatzern und dem Bersten der Bremsscheibe rechnen. Hohe Drehzahlen tun zudem dem Motoraggregat nicht gut, und wer in zu hohen Gängen durch enge Kurven zuckelt, riskiert einen kapitalen Getriebeschaden.
„F1 2017“ lässt sich sowohl mit Sim-Racing-Peripherie als auch mit dem DualShock-4-Controller der PlayStation 4 ganz hervorragend steuern. Wie schon in „DiRT 4“ hat Codemasters das Spiel geradezu vorzüglich auf den PS4-Controller abgestimmt, so dass man sich das beinahe schon obligatorische Ansteuern des Einstellungsmenüs, um dort Feintuning zu betreiben, im Grunde sparen kann. Lenkbewegungen lassen sich – ein wenig Feingefühl vorausgesetzt –
mit dem linken Stick präzise ausführen und werden ebenso präzise auf dem Asphalt umgesetzt. Die beiden Trigger werden hochfrequent abgefragt, so dass auch sanftes Beschleunigen aus Kurven heraus und behutsame Bremsvorgänge möglich sind, ohne gleich Gefahr zu laufen, ein Ausbrechendes Heck, bzw. einen Plattfuß zu riskieren.
Wer es gerne ein wenig zugänglicher haben mag, kann sich „F1 2017“ mittels mehrerer zuschaltbarer Fahrhilfen auf seine eigenen Vorlieben hinsichtlich des spielerischen Anspruchs zuschneiden. So kann die Künstliche Intelligenz der CPU-Fahrer von 0 (Idiotisch) bis 110 (Ultimativ) eingestellt werden, Bremsassistent, ABS, Traktionskontrolle, Ideallinie (wahlweise „Flat“ oder „3D“), automatische Schaltung (plus Kupplung) zugeschaltet werden, sowie ein Pit-Assistent aktiviert werden, der die Anfahrt der Box übernimmt. Allerdings sei gesagt: Wer ein Rennen mit sämtlichen verfügbaren Fahrhilfen in Angriff nimmt, sollte nicht mehr allzu viel Anspruch erwarten, da sich die F1-Boliden in diesem Fall wie im guten alten „F1 Race Stars“ über die Strecken bewegen.
Abschließend noch einige Sätze zur Technik: „F1 2017“ fußt auf der inhouse entwickelten Ego-Engine, die seit 2010 in sämtlichen von Codemasters entwickelten Rennspielen zum Einsatz kommt. Das Geschehen läuft auf der PlayStation 4 in 1080p bei gleichzeitig konstanten 60FPS über die HD-Glotze. Monoposti und Rennstrecken wurden bis ins kleinste Details mit viel Liebe zu eben diesen nachgebaut. Alle GP-Kurse wurden zwar offiziell von der FIA lizensiert, allerdings wurden sie von Codemasters nicht via Laser-Scanning-Verfahren ins Spiel übertragen, sondern stattdessen per Hand nachgebaut. Erstaunlicherweise macht sich der Unterschied zu einer eingescannten Strecke, von der ein oder anderen Bodenwelle einmal abgesehen, kaum bemerkbar. Fahrerzelle wie Lenkrad (bei jedem Team unterschiedlich gestaltet) sind komplett funktional umgesetzt worden. Werden während eines Rennens Änderungen beispielsweise am Differential oder der Bremskraftverteilung vorgenommen, werden diese Einstellungen auch vom Fahrer am Lenkrad getätigt. Fans von Sebastian Vettel wird’s sicherlich freuen: Bei Remplern und unsauberen Überholmanövern beschwert sich der Fahrer nach wie vor kräftig mit einer entsprechenden unmissverständlichen Handgeste. Abseits der Strecke gibt es ebenfalls viele große und kleine Details wie fangesäumte Tribünen, Baukräne, Streckenposten, mitschwenkende Kameras, Gebäude, Berge und Wälder zu entdecken. Überhaupt wissen die Locations mit einer sehr gelungenen Tiefe zu überzeugen; das Auge kann weit in die Ferne schweifen, so dass man nicht mehr länger wie in früheren Iterationen der Reihe das Gefühl hat, in einem kleinen abgesteckten Areal seine Runden zu drehen.
Negativ: Beide Konsolenfassungen von „F1 2017“, sowohl die für PS4 als auch jene für die Xbox One, leiden unter teils enormem Screen-Tearing am oberen Bildrand. Dieser in meinen Augen bei Rennspielen immens störende Effekt macht sich insbesondere innerhalb der Boxengarage (sic!), sowie in mit zahlreichen Details ausgestatteten Streckenabschnitten bemerkbar. Erstaunlicherweise ist selbst die PlayStation 4 Pro von Screen-Tearing betroffen! Bleibt zu hoffen, dass die Codies da demnächst einen Patch nachreichen, der sich dieses Problems annimmt.
Positiv ist mir hingegen die Soundkulisse von „F1 2017“ aufgefallen: Die Menümusik „springt“ einen nicht an, sondern dudelt unauffällig im Hintergrund vor sich hin. Sounds für Motoren, Getriebe und Reifen wurden direkt von den jeweiligen Teams aufgenommen, bzw. bereitgestellt. Leider bekommt man von den Gegnern klangtechnisch nicht allzu viel mit, da lediglich der direkt vor einem fahrende KI-Gegner zu hören ist. Zu begeistern weiß außerdem der informative Boxenfunk. Ich bin seit jeher kein Fan von RTL-Kommentator Heiko Wasser, von daher spare ich mir an dieser Stelle eine Bewertung des deutschen Kommentatoren-Duos, das im Vorlauf sowie im Anschluss eines jeden Rennens kurz zu Wort kommen darf. Neben Wasser ist ein gewisser Stefan Römer als zweiter Kommentator zu hören.
Fazit
Wer auf Motorsport steht und ein besonderes Faible für die Formel-1 hat, kann mit „F1 2017“ im Grunde nicht allzu viel falsch machen. Der Titel ist das einzige offizielle Videospiel zur F1-Weltmeisterschaft 2017 und bietet als solches Inhalte, die sich nirgendwo anders finden. Mit seinem großen Umfang – hier sei insbesondere die motivierende Karriere erwähnt -, dem gegebenen Anspruch, der sowohl anspruchsvolle Sim-Racer als auch Casuals zufrieden stellen sollte, und der soliden, wenngleich nicht perfekten Technik ist „F1 2l17“ das bist dato mit Abstand authentischste, packendste, ganz einfach gelungenste Formel-1-Videospiel aus dem Hause Codemasters!
Von mir gibt es ’nen Schumi-Daumen und eine glasklare Kaufempfehlung!